Feminist*in oder Journalist*in?

Das Jahr 2020 ist geprägt von gesellschaftlichen Belastungen und Umbrüchen: Von der Corona-Pandemie, lodernden Waldbränden, klimaaktivistischen Aufschreien, George Flyods Tod und der daraus hervorgehenden #Blacklivesmatter -Bewegung, bis hin zur humanitären Krise in Jemen. In all dieser Unruhe nehmen sich Anne Wizorek, eine deutsche Feministin die durch die Initiative gegen Sexismus, den #aufschrei bekannt wurde, und Alexandra Wachter, stellvertretende Vorsitzende des „Frauennetzwerk Medien“, Moderatorin und Journalistin im Politikresort bei Puls 4, trotzdem Zeit dafür, über Journalismus und Feminismus zu reden, ein Imageproblem zu diskutieren und Überlegungen dazu anzustellen, wie man es besser machen könnte. „Weil ich finde, dass Feminismus aktuell so wichtig ist wie er immer schon gewesen ist und dass man nicht sagen kann, man braucht ihn zum Beispiel nicht“, leitet Alexandra Wachter das Gespräch ein.

Von Journalistin zu Aktivistin, von Frau zu Frau

Feminismus :ein Begriff der vielen Definitionen. Für Alexandra Wachter bedeutet Feminismus, „dass man für Gleichberechtigung eintritt, für Menschenwürde und auch für Selbstbestimmung grundsätzlich aller Menschen, also jeglichen Geschlechts, und dass man ganz entschieden gegen Sexismus auftritt.“ Auf Nachfrage, ob sie sich denn selbst als Feministin bezeichnen würde, antwortet sie mit einem bestimmten „Ja auf jeden Fall!“. Es sei für sie „total notwendig“ für Feminismus einzutreten, weil sich auch heute immer noch viele Schieflagen in der Gesellschaft abzeichnen würden, „wo Frauen immer noch weniger verdienen in Österreich, bei gleicher Arbeit als Männer, Frauen dadurch ein viel höheres Risiko haben, Altersarmut zu erleben. Auch wenn man, dass vielleicht ein bisschen schönredet oder so.“ Für Anne Wizorek hingegen, stellt beim Thema Feminismus neben gesellschaftspolitischen Belangen insbesondere auch der persönliche Bezug einen zentralen Anknüpfungspunkt dar:

Ich bin Feministin weil…?

Journalismus in feministischer, Feminismus in journalistischer Gesellschaft

Leider gibt es kein Thermometer, keine Waage, oder Skala, auf der sich messen lässt, welchen Stellenwert etwas in unserer Gesellschaft hat. Frau Wachter jedenfalls vertritt die Meinung, dass sowohl Feminismus als auch Journalismus eine entscheidende Rolle für die Allgemeinheit spielen und sich miteinander auseinandersetzen sollten: „Mir kommt vor, dass sich die Rolle des Journalismus eigentlich so sehr verändert, wie sich auch die Gesellschaft verändert. Aus meiner Sicht natürlich sollte sich der Journalismus grundsätzlich dahingehend immer mit dem Feminismus befassen als das das Thema Gleichberechtigung, Menschenwürde und Selbstbestimmung in meinen Augen in so gut wie jedem Thema zu finden ist. Also das heißt, bei einem Autounfall jetzt vielleicht nicht (lacht). Aber wenn es um Politik geht, dann kann man eigentlich all diese Themen immer unter dem Aspekt der Gleichberechtigung eben, sich anschauen.“

Bei der Beschreibung der gesellschaftlichen Rolle von Feminismus tut sich Frau Wizorek ein wenig schwer, weil „es da so eine Gleichzeitigkeit gibt von einerseits haben wir viel erreicht in dem Zusammenhang, andererseits immer noch nicht genug. Also insofern hatten wir ja auch schon wieder so eine Art Backlash zu beobachten, wo dann behauptet wird: das braucht es alles nicht mehr. Da gibts schon auch immer noch genug Leute, die das behaupten, die dann vielleicht auch sogar sagen, es wäre schon zu weit gegangen, oder die Forderungen, die jetzt noch kommen, die gehen irgendwie zu weit. Gleichzeitig sehen wir aber auch so einen Boom. Also viel mehr Popstars zum Beispiel, oder überhaupt Personen des öffentlichen Lebens stellen sich auch ganz klar hin und sagen: Natürlich sind wir Feminist*innen und wir kämpfen für Geschlechtergerechtigkeit, wir stehen dafür ein. Das hat glaube ich schon noch einmal dazu geführt, dass Feminismus ein bisschen zugänglicher geworden ist für manche Gruppen, die da vielleicht auch erst einmal von den Stereotypen vielleicht noch so ein bisschen davon abgeschreckt wurden.“

Stereotype einer Feministin

Anne Wizorek bezeichnet sich gerne als Feministin. Macht sie das in den Augen der anderen zu einem „Monster“?

Männerhassende Kinderfresser?

„Wenn man sich als Feministin bezeichnet, wird man einfach auch aggressiver wahrgenommen“, ergänzt Wizorek. Alexandra Wachter hingegen erkennt eine starke Assoziation mit der Bezeichnung Feminist*in und dem linken politischen Spektrum. Sie weist aber auch darauf hin, dass das wiederum besonders davon abhängen würde, wen man fragt: „Also ich denke, wenn jetzt jemand im Grunde schon ein negatives Bild von Feminismus oder von Feministinnen hat, dann wird das negativ bleiben. Und wenn man aufgeklärte Menschen fragt, die eben ein Bewusstsein haben für Feminismus, dann wird das ein positives Bild sein.“

Dann erzählt sie eine Anekdote von einem Tag, an dem sie an der Universität Wien einen Vortrag zum Thema Feminismus abhielt: „Hab‘ am Anfang gefragt, wer sich als Feministin oder Feminist begreift, der solle aufzeigen. Es hat niemand aufgezeigt, außer der Professor. Ich habe dann erklärt was Feminismus für mich ist. Dann habe ich wieder gefragt und dann haben eigentlich alle aufgezeigt, außer einer, der wollte das halt nicht, ist auch okay. Und dann habe ich mir gedacht, eben das Bild, wenn es aufgeklärt ist, dann haben die Leute auch kein Problem damit, sich Feminist*innen zu nennen.“

Hat Feminismus ein Imageproblem?

Das böse F-Wort. Warum die Menschen sich Studienergebnissen zufolge immer weniger oft als Feminist*in bezeichnen, wird oft anhand der These erklärt, dass Feminismus ein Imageproblem hat. Anne Wizorek weist darauf hin, dass es bereits viele Bemühungen gab, entweder mit anderen Begriffen zu arbeiten oder, wie sie es formuliert „irgendetwas Cooles, Hippes daraus zu machen“. Davon abgesehen, sei Feminismus für sie ohnehin immer top-aktuell. Zum Thema Imageproblem führt sie aus: „Ich finde halt schon, dass es weniger mit einem Image zu tun hat, sondern mehr damit, dass einfach viele Menschen, die vorgeben Feminismus nicht zu verstehen oder sich auch wirklich von diesen Stereotypen blenden lassen, sich darüber hinaus nicht weiter mit Feminismus beschäftigen. Also damit: Was wollen denn Feminist*innen und was haben wir ihnen vor allem auch schon alles zu verdanken.“ Diese Ansicht vertritt auch Wachter und merkt dazu an: „Das Wort Feminismus hat in manchen gesellschaftlichen Kreisen ein Imageproblem. Aber deswegen, weil das Wort eben falsch konnotiert ist, oder negativ konnotiert ist. Ich finde auch, dass das Aufklärung braucht, weil das Wort Feminismus an sich, einfach nur für Gleichberechtigung steht, und dafür, dass jeder selbstbestimmt leben darf.“

…Wer könnte da was dagegen haben?

Who‘s to blame: auch der Journalismus?

Auf Nachfrage, welche Rolle denn dem Journalismus am negativen Standing des Feminismus und seiner Vertreter*innen zukäme, antwortet Wizorek blitzschnell: „Na, eine Große!“ Sie führt dann nach kurzer Denkpause weiter aus: „Ich finde schon, dass natürlich Medien im Generellen, aber auch Journalismus speziell dann großen Einfluss darauf haben, wie dieses Bild über Feminismus, Feminist*innen auch geformt wird.“ Aus der Perspektive der Journalistin Wachter, liegt es diesbezüglich am Journalismus, sich für Geschlechtergerechtigkeit, welche sie mit Feminismus gleichsetzt, einzusetzen. „Naja, ich finde man müsste tatsächlich beachten, dass man als Journalistin oder Journalist eine große Verantwortung trägt, tatsächlich. Also dass wir eigentlich die Verantwortung tragen, welche Einordnung die erhalten. (…) Das ist natürlich eine Grundsatz Entscheidung, dann muss man eben schauen, wie man da auch Vertrauen dafür schaffen kann. Das gelingt meiner Meinung nach indem man eben sagt: Menschenrechte sind mir ganz entscheidend wichtig, und genauso ordne ich alles, auch Berichte ein. Aus welchem Blickwinkel ordne ich die Berichterstattung ein? Auf Gerechtigkeit, in Wahrheit.“

Was die mediale Berichterstattung falsch macht.

Was wir lernen aus diesen Sachen: wie kann’s Journalismus besser machen?

Dass es nicht den einen richtigen Weg, die eine idealtypische Auseinandersetzung von Journalismus mit Feminismus gibt, es aber durchaus Punkte gibt, denen man mehr Beachtung schenken sollte, findet Wachter. Im Besonderen weist sie darauf hin, „dass man in der Berichterstattung die Worte Gleichberechtigung oder eben die Schieflagen aufzeigt. Ob man jetzt dann direkt sagen muss spielt in dem Sinn keine Rolle.“

Wizorek erkennt in der Berichterstattung über Feminismus dementgegen gleich mehrere Problematiken. Zum einen beobachtet sie zwar, dass die Auseinandersetzung von Journalismus mit Feminismus in den letzten Jahren durchaus zugenommen habe, immer jedoch noch nicht in ausreichendem Maße vertreten sei, und zusätzlich „Feminismus im Journalismus oft noch mehr als so ein „Frauenthema“ dargestellt wird, und weniger als gesamtgesellschaftlich relevantes.“ Zudem fällt ihr auf: „dass Journalismus oft noch so gelehrt wird und als Job so verstanden wird, dass sobald man bestimmte politische Forderungen einbringt oder dergleichen, dass dann als Aktivismus gilt. Also Feminist*innen wird immer direkt so eine Ideologie vorgeworfen und eine aktivistische Agenda irgendwie. Während wenn, ja weiß ich nicht, der Typ von der Autolobby schreiben oder sagen würde, das dann einfach nur so ein Statement ist. Und ja, auch so ein generelles Grundwissen über feministische Kämpfe, also einfach auch eine Vorstellung von der Historie die da mit dranhängt und der Weiterentwicklung und der innerfeministischen Debatten auch.“

Solange man den Objektivitätsmaßstab beibehält, ist sich Wachter jedenfalls sicher, gäbe es keine Interessenskollision von feministischer Agenda und journalistischer Tätigkeit. „Wenn man über Feminismus berichtet und sagt, man möchte objektiv berichten, dann ist aber das Faktum der Gerechtigkeit, der Geschlechtergerechtigkeit in meinen Augen ja Nichts Subjektives, sondern ist sehr objektiv, wenn jetzt mehr Männer als Frauen reden als Expertinnen und Experten. Dann ist es ja ein objektives Ungleichgewicht. Das sag ja nicht ich, sondern das sind ja einfach mehr Männer. Darauf hinzuweisen, eigentlich wäre Ausgeglichenheit gerecht, weil wir haben Parität, dann ist das ja eigentlich nur eine faktische Einordnung. Ich finde, solange man Zahlen, Daten, Fakten heranzieht, um Ungerechtigkeit zu beschreiben, dann finde ich, dass es objektiv ist.“

In Punkto Objektivität widersprechen sich die Ansichten von Wizorek und Wachter ganz grundlegend.

„Diese Vorstellung von Objektivität ist einfach Quatsch.“

Team Journalistin- Team Feministin: Muss man sich entscheiden?

Ob es notwendig ist, zwischen den Rollen eines*einer Journalistin und eines*einer Feminist*in wählen, oder ob sich beide Rollen widerspruchslos vereinen lassen bewerten die Gesprächspartnerinnen unterschiedlich. Wachter grenzt diesbezüglich ganz klar ab: Feministin, ja, aber „natürlich bin ich als Journalistin keine Aktivistin. In meinen Augen kann ich nicht auf eine Demo gehen. Das finde ich eigentlich nicht möglich, weil man ja zuschauen, sich alle Argumente anhören muss. Aber worum es mir geht ist, dass ich als Journalistin ganz klar sage: Das ist meine Einordnung, Wenn man einen Bericht von mir hört, dann wird der immer nach den Kriterien der Menschenrechte einmal eingeordnet sein und immer einmal nach den Kriterien der Geschlechtergerechtigkeit. Ich finde Transparenz ist wichtig, die muss es geben, und deswegen widerspricht sich das auch nicht. Weil ich eben diese beiden Gesichtspunkte auch immer berücksichtige (…) Das heißt, es ist ja nicht irgendwie ein politisches Anliegen, das ich da unterstütze, sondern das ist ja etwas worauf wir uns alle geeinigt haben. Wir alle leben ja nach dem Gesetz.“

Wizorek würde sich wünschen, dass man sich nicht entscheiden muss. Sie versteht, dass Frauen, die sich tatsächlich als Feminist*in positionieren, diese Bezeichnung oft negativ ausgelegt wird. Jedoch findet sie, dass es grundsätzlich darum ginge einfach Stellung zu beziehen, dass das  grundsätzlich eigentlich „jeder machen und tun kann und sollte und zusätzlich dann auch danach handeln sollte.“

Schwierig sich im Journalismus so zu positionieren.

Break it down: Ist Feminismus zu plural zum Vereinfachen?

Die Journalistin Wachter vertritt die Meinung: so wie der Feminismus von Vielseitigkeit geprägt ist, ist es auch der Journalismus. Jedoch gestalte es sich schwierig, genau auf die Vielschichtigkeit der feministischen Thematiken einzugehen. „Naja, also wenn man da ein Stück in der Geschichte zurückgeht, dann ist es ja so, dass sich da die Pluralität von Feminismus entwickelt hat. Und die Frage ist, wie man mit den verschiedenen Strömungen auch umgeht. Also, ich glaube, in der Ebene wo wir jetzt sind, da bewegen sich ja nurmehr wenige Menschen, die sich auch beschäftigen mit den Strömungen des Feminismus.“

Der Bandbreitereite des feministischen Spektrums würde in der journalistischen Tagesordnung viel zu wenig Platz und Diversität eingeräumt werden, findet Wizorek.

Zu wenig Bandbreite in Berichterstattung- und der Journalist*innen selbst.

Für Wachter bestehe die Schwierigkeit des Aufzeigens der feministischen Vielfalt auch darin, dass sich viele Dinge einfach aus dem Tag ergeben würden. „Man könnte nicht um 15 Uhr eine Grenze einziehen und sagen schau: welche Themen haben ma jetzt, jetzt haun ma welche (Anm. der Verf. Feministische Themen) raus. Das ist für uns schwierig.“ Wo sie ihre zentrale Rolle als feministisch agierende Journalistin versteht, ist in erster Linie überhaupt auf eine generelle Ausgewogenheit der Geschlechter zu achten. „Da geht es schließlich darum, dass jede Journalistin, jeder Journalist für sich immer wieder hinterfraget: Warum haben wir jetzt in dieser Sendung 4 Experten und nur eine Frau. Haben wir uns zu wenig bemüht. Es ist meiner Meinung nach auch so, dass Männer schneller sagen: Ja ich kann zu dem Thema was sagen. Frauen hinterfragen da mehr, ob sie zu dem Thema eh genug Wissen haben.“

Das sieht Wizorek anders. Sie wirft den Medien im Besonderen vor, dass oftmals versucht würde die ganze feministische Bewegung hin auf eine*n einzige*n ihrer Vertreter*innen zu reduzieren.

Medien versteifen sich auf Go-To-Feministin- Blödsinn?

Take-Home-Message

Das Gespräch mit Anne Wizorek und Alexandra Wachter weist auf einige Mängel in der journalistischen Auseinandersetzung mit Feminismus hin. Was beide als zentrale Aufgabe empfinden, ist es das Bewusstsein der Gesellschaft für feministische Debatten zu erweitern. Aufklärungsarbeit dafür zu leisten, wofür die Bewegung und seine Vertreter*innen einstehen, und dies auch in einem historischen Kontext einzubetten. Während Wachter die Auflösung der Stereotype auch durch transparente, objektive Berichterstattung und selbstkritisches Hinterfragen der eigenen journalistischen Praxis als verwirklichbar erkennt, äußert Wizorek, dass es letztlich nicht an den Medien alleine, sondern auch am Individuum selbst liege, sich aus seiner eigenen Unwissenheit zu emanzipieren.

Feminismus braucht Auseinandersetzung- mit den Inhalten der Frauenbewegung und der Menschen mit sich selbst.